Aiko Kempen ist investigativer Journalist aus Leipzig und arbeitet bei FragDenStaat im Bereich Recherche. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen mit dem Sächsischen Transparenzgesetz gesprochen.
netzpolitik.org: Seit 1. Januar 2023 gilt in Sachsen ein Transparenzgesetz. Du hast als Journalist seitdem mehrere Dutzend Auskunftsanfragen an sächsische Behörden gestellt. Was hast du erlebt?
Aiko Kempen: Zunächst einmal wussten viele Behörden noch gar nicht so richtig, dass es das Transparenzgesetz gibt. Oder was in dem Gesetz steht. Oder dass sie mitmachen müssen. Offenbar gibt es in sächsischen Behörden keine Menschen, die explizit für die Bearbeitung von Auskunftsanfragen zuständig sind und die sich damit auskennen. Entsprechend fallen die Ergebnisse aus.
Oft habe ich vor allem geschwärzte Seiten und hohe Rechnungen erhalten, viel zu oft gab es einfach gar keine Antwort. Eine meiner Lieblingsanfragen war die zur Umsetzung des Transparenzgesetzes. Da habe ich tatsächlich eine große Akte erhalten und mich schon gefreut. Allerdings waren dann fast alle der 180 Seiten geschwärzt. Der einzige Teil, der nicht geschwärzt war, war meine eigene Anfrage.
netzpolitik.org: Gab es auch positive Überraschungen?
Aiko Kempen: Ein bisschen überrascht war ich, dass die Polizei Leipzig mir mehrere Einsatzprotokolle herausgegeben hat. Das hat statt der vorgegebenen vier Wochen zwar sieben Monate gedauert und ich musste ein Mal Widerspruch einlegen. Aber da hat ein formloser Widerspruch ausgereicht und am Ende hatte ich die kompletten Dokumente. Seitdem werden die Antworten auf meine Anfragen bei der Leipziger Polizei übrigens immer vom Polizeipräsidenten persönlich schlussgezeichnet.
Eine lange Liste von Ausnahmen
netzpolitik.org: Wie ist dein Gesamteindruck nach eineinhalb Jahren: Funktioniert das mit der Transparenz in Sachsen?
Aiko Kempen: Die kurze Antwort lautet: Nein, gar nicht. Die längere Antwort ist, dass wir sowohl ein Personal- und Kulturproblem haben als auch ein viel zu schwaches Transparenzgesetz.
netzpolitik.org: Fangen wir mal mit dem Gesetz an. Ihr habt mit FragDenStaat schon bei der Einführung kritisiert, dass es den Namen Transparenzgesetz eigentlich nicht verdient. Wo liegen die Probleme?
Aiko Kempen: Grundsätzlich ist der Gedanke, dass ein Transparenzgesetz noch besser ist als ein Informationsfreiheitsgesetz, weil der Verwaltungsapparat hier von sich aus transparent werden muss und Dinge aktiv veröffentlichen muss. Dieses Versprechen hält das sächsische Transparenzgesetz bisher überhaupt nicht.
Der eigentliche Transparenzaspekt ist noch gar nicht in Kraft, erst ab 2026 soll es ein Portal für die proaktive Veröffentlichung von Gutachten und anderen Dokumenten geben. Die aktuelle Landesregierung ist dann längst nicht mehr im Amt und ich bin skeptisch, ob das überhaupt umgesetzt werden wird.
netzpolitik.org: Was kritisierst du noch am Transparenzgesetz?
Aiko Kempen: Ein riesiges Problem ist die lange Liste an Ausnahmen. So ist zum Beispiel jegliche interne Kommunikation innerhalb einer Behörde von der Transparenz ausgenommen. Dabei wollen wir ja wissen, wie Entscheidungen zustande gekommen sind und wer wo Einfluss genommen hat.
Eine sächsische Besonderheit ist auch, dass nur Behörden auf Landesebene auskunftspflichtig sind. Städte und Kommunen müssten eigene Transparenzregeln erlassen. Leipzig hat das gemacht, aber in vielen anderen Kommunen können wir keine Anfragen stellen. Dabei wissen wir aus anderen Bundesländern, dass es das ist, was die meisten Menschen interessiert, weil es ihre Lebenswelt direkt betrifft. Zum Beispiel bei Fragen zur Schule vor Ort.
Behörden werden kreativ
netzpolitik.org: Du hast neulich in einem Artikel geschrieben, dass sächsische Behörden seit Einführung des Transparenzgesetzes keine einzige Person abgeordnet oder neu eingestellt haben, um die Anträge von Bürger:innen zu bearbeiten. Will die sächsische Verwaltung einfach keine Transparenz?
Aiko Kempen: Sie tut jedenfalls sehr wenig dafür. Bisher habe ich den Eindruck, die Bearbeitung einer Anfrage läuft in etwa so ab: Die zuständige Person nimmt sich das sächsische Transparenzgesetz, guckt unter Ablehnungsgründe, geht die lange Liste der Paragrafen von oben nach unten durch und sucht sich alles, was auch nur irgendwie zutreffen könnte. Das sächsische Innenministerium war zum Beispiel sehr kreativ, als ich Informationen zu den Tag-X-Demos haben wollte.
netzpolitik.org: Du meinst die Demo der linken Szene in Leipzig 2023, um gegen die Verurteilung von Lina E. zu demonstrieren? Die Polizei war damals extrem hart gegen die Demonstrierenden vorgegangen.
Aiko Kempen: Genau, und ich wollte vom Innenministerium Einsicht in die Kommunikation mit dem Ordnungsamt der Stadt Leipzig rund um das Ereignis erhalten. Wie schon gesagt: Kommunikation innerhalb einer Behörde ist von der Transparenzpflicht ausgenommen. Also hat das Innenministerium einfach gesagt: Kommunikation mit dem Ordnungsamt der Stadt Leipzig ist Kommunikation innerhalb des Innenministeriums, denn das Innenministerium ist schließlich die Aufsichtsbehörde aller Ordnungsbehörden. Es ist also so, als würden sich zwei Sachbearbeiter in einem Haus beim Kaffee unterhalten, auch wenn die beiden Behörden mehrere 100 Kilometer auseinander liegen.
netzpolitik.org: So viel zur Transparenzkultur. Gibt es Vergleichswerte aus anderen Bundesländern, wie viele Leute dort in den Behörden für Transparenz- und Informationsfreiheitsanfragen zuständig sind?
Aiko Kempen: Auf Bundesebene hat jedes Ministerium ein eigenes IFG-Referat. In den Bundesländern, wo es entsprechende Gesetze schon länger gibt, ist das glaube ich auch so. Natürlich hat nicht jedes Provinzrathaus jemanden dafür abgeordnet, aber auf der mittleren bis oberen Ebene gibt es entsprechende Abteilungen oder mindestens eine zuständige Person.
Transparenz hilft, Regierungen zur Verantwortung zu ziehen
netzpolitik.org: Mit dem Transparenzgesetz ist die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert auch zur Transparenzbeauftragten geworden. Sie selbst hat das Gesetz im Interview mit netzpolitik.org als zu schwach kritisiert. Welche Rolle kann die Transparenzbeauftragte spielen? Hat sie die Mittel und Möglichkeiten, anderen Behörden bei der Transparenz Beine zu machen?
Aiko Kempen: Leider nicht wirklich, weil sie zu wenig Befugnisse hat. Sie kann den anderen Behörden die Transparenz leider nicht verordnen und anordnen, dass diese bestimmte Dokumente herausgeben müssen. Ihre Arbeit hat maximal beratenden Charakter. Im Zweifelsfall müsste also auch die Transparenzbeauftragte gegen eine Behörde klagen, um etwas durchzusetzen. Das ist übrigens in anderen Bundesländern auch so. Auf Bundesebene hat deshalb zum Beispiel schon der Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit das Bundesinnenministerium verklagt.
netzpolitik.org: Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen, die AfD könnte stärkste Kraft werden. Was bedeutet die schwach ausgeprägte Transparenzkultur und -gesetzgebung für demokratischen Widerstand gegen eine mögliche Regierung unter Beteiligung der Rechtsextremen?
Aiko Kempen: Das Informationsfreiheitsrecht ist ein Bürgerrecht und somit auch ein Schutzrecht gegenüber dem Staat. In diesem Fall: ein Kontrollrecht. Es soll Bürger:innen ermöglichen, Entscheidungen der Verwaltung zu hinterfragen. Je schwächer diese Rechte ausgeprägt sind, umso schlechter steht es um die Möglichkeiten einer demokratischen Selbstverteidigung der Bevölkerung gegen eine möglicherweise rechtsextreme Regierung. Deswegen wäre es umso wichtiger gewesen, die Transparenz jetzt zu fördern.
Transparenz ist immer ein Mittel, um Regierungen zur Verantwortung zu ziehen. Wir sehen das teilweise in Thüringen. Dort gibt es ein halbwegs funktionierendes Transparenzgesetz und das wird genutzt, um die Arbeit eines AfD-Bürgermeisters zu kontrollieren.
netzpolitik.org: Was muss in Sachsen besser werden?
Aiko Kempen: Als erstes brauchen wir mehr Personal in den Behörden, das für die Beantwortung von Transparenzanfragen zuständig ist. Zweitens braucht es einen Kulturwandel in den Behörden. Und dann brauchen wir ein Transparenzgesetz, das diesen Namen wirklich verdient.