Zum ersten Mal hat eine Person mit einer „Sarco“-Suizidkapsel ihren Freitod herbeigeführt. Ist das ein Fall von selbstbestimmtem Sterben – oder überschreiten wir ethische gerade Grenzen, hinter die wir nicht mehr zurück können?
von Laila Mirzo
Gibt es ein Recht auf Suizid? Diese Frage wird sehr kontrovers geführt, es ist dabei sehr schwierig, die Emotionen rauszuhalten und das Thema „nüchtern“ zu behandeln, denn schließlich ist das Leben ein hohes Gut. Philosophen und Theologen streiten jedoch darüber, ob es das „höchste“ Gut ist; Platon beispielsweise meinte: „Nicht das Leben ist das höchste Gut, sondern das gute Leben.“
Wie ist dies zu verstehen? Platon ging es weniger darum, „ein gutes Leben“ im Sinne von Reichtum und Vergnügen zu haben, sondern darum, dem eigenen Leben einen Sinn zu geben. Auch Friedrich Schiller konstatierte: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht“, was bedeutet, daß ein Mensch sein Leben für ein anderes hohes Gut, wie Freiheit oder Gerechtigkeit opfern kann. Sein Leben für eine gute Sache bewußt aufs Spiel zu setzen, wie es zum Beispiel Soldaten oder Rettungskräfte oft tun, ist in Teilen der Gesellschaft akzeptiert und gilt sogar als heldenhaft.
Auch Jesus ist für die Sünden der Welt gestorben. Was für einem selbst als „höchste Gut“ gilt, kann also sehr individuell und subjektiv determiniert werden. Die deutsche Verfassung stellt jedenfalls die Menschenwürde im Grundgesetz als höchstes Gut allen anderen Rechten voran, doch was ist, wenn ein Leben in Würde nicht mehr möglich ist?
Sterbehilfe ist ein Tabuthema
Jedes Jahr beenden etwa 10.000 Menschen in Deutschland ihr Leben durch Suizid – die Gründe dafür sind vielfältig und hinter jedem Selbstmord steht eine persönliche Tragödie. Manche dieser Menschen sind diesen Schritt gegangen, weil sie an einer unheilbaren Krankheit leiden und unermeßliche Schmerzen ertragen mußten. Sie haben sich dazu entschieden, ihre körperlichen Qualen zu beenden und ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.
Dies geschah vielleicht in Absprache mit ihren Angehörigen, vielleicht mit Hilfe Dritter. Sterbehilfe passiert in Deutschland und ist immer wieder Gegenstand gesetzlicher Debatten. Zum aktuellen Zeitpunkt befindet sich die sogenannte assistierte Sterbehilfe in einem rechtlichen Graubereich, die aktive Sterbehilfe ist aber explizit verboten.
Anders in der Schweiz. Hier ist die Beihilfe zum Suizid aus uneigennützigen Gründen legal und so hat sich ein regelrechter „Sterbehilfe-Tourismus“ eingestellt. Für ein großes mediales Echo sorgt gerade der Fall einer US-Amerikanerin, die sich in einer sogenannten „Selbstmordkapsel“ das Leben nahm.
Der „Sarco“ erleichtert den Suizid
In der futuristisch anmutenden Suizidkapsel „Sarco“ kann man sich per einfachem Knopfdruck selbst töten. Statt Sauerstoff strömt dann Stickstoff in die versiegelte Kammer, nach ein paar Atemzügen verliert man das Bewußtsein, der Tod tritt in etwa fünf Minuten ein. Was für „Betroffene“ nach einer schmerzlosen und würdevollen Möglichkeit selbstbestimmt aus dem Leben zu scheiden, klingt, ist für viele Menschen eine Sünde vor Gott oder ein verbrecherischer Akt.
Die Schweizer Staatsanwaltschaft Schaffhausen jedenfalls ließ vier Beteiligte festnehmen, unter ihnen auch der Direktor der Sterbehilfeorganisation „The Last Resort“. In der Zwischenzeit befindet sich nur noch eine Person in Haft.
Ein Strafverfahren „wegen Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord“ wurde eingeleitet. Laut der Schweizer Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider sei die Suizidkapsel „nicht rechtskonform“, da sie nicht die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts erfüllen würde. Zudem sei die Verwendung von Stickstoff in der Kapsel nicht mit dem Chemikaliengesetz vereinbar.
Wir überschreiten eine rote Linie
Was mich hier zutiefst befremdet ist, daß hier nur Argumente bezüglich der Technik und der „Verkehrstüchtigkeit“ der Maschine ins Feld geführt werden. Geht die Kapsel etwa in Serien-Produktion, wenn alle technischen und bürokratischen Fragen geklärt sind?
Schon jetzt wird an einer „Partner-Kapsel“ gearbeitet, die es einem Paar ermöglichen soll, gemeinsam Selbstmord zu begehen, so die Sterbehilfeorganisation „The Last Resort“. Spätestens jetzt sollten doch alle Alarmglocken schrillen: Hier geht es nicht nur um Sterbehilfe für todkranke Menschen, hier geht es um eine vermarktete Suizid-Industrie mit staatlicher Legitimität.
Wir stehen gerade an einer dicken roten Linie, überschreiten wir diese, gibt es kein zurück mehr. Also müssen wir das Szenario weiterdenken. Ab wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert und vor allem für wen? Wird der Staat in einer Zukunft voller Fachkräftemangel und explodierender Pflegekosten Alten oder Schwerkranken Menschen aktiv empfehlen, in eine Suizid-Kapsel zu steigen und den Knopf zu drücken?
Am Ende des Tages bleibt die eigene Würde
Als ehemalige Krebspatientin habe ich mich auch mit dem Thema Freitod beschäftigt. Innerhalb nur eines Jahres erkrankte ich zum zweiten Mal an Krebs und diesmal war er aggressiver, meine Chancen sahen sehr schlecht aus. In den Wochen nach der OP war ich dem Tod näher als dem Leben, ich war kraftlos und die Angst beherrschte meine Gedanken.
Deshalb weiß ich, daß einem am Ende des Tages nur noch die eigene Würde bleibt. Als gläubiger Mensch bin ich davon überzeugt, daß Gott einem auch in der Todesstunde vieles zu lehren hat und man deswegen den Weg auch zu Ende gehen muß, der einem geschenkt worden ist. Ich respektiere aber auch das Recht auf Selbstbestimmung eines mündigen Menschen. Sobald sich aber der Staat einmischt, habe ich große Bedenken.
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