Mit „aller notwendigen Härte“ werde der Staat auf den terroristischen Anschlag von Solingen antworten, das hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wenige Tage nach der Tat angekündigt. Wie diese Antwort nun aussieht, kann man seit gestern nachlesen. Das Bundeskabinett hat am Montag zwei Gesetzentwürfe beschlossen, die schon diesen Donnerstag im Bundeskabinett beraten werden sollen: einen „zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems“ und einen weiteren „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ (PDF).
Darin ist formuliert, was die Bundesregierung in groben Zügen bereits vergangene Woche angekündigt hatte: Verschärfungen im Waffenrecht, im Asyl- und Aufenthaltsrecht.
Auch die Befugnisse von Ermittlungsbehörden werden weiter ausgebaut. Sie sollen nun auch Maßnahmen einsetzen dürfen, die noch vor wenigen Wochen als zu gefährlich in einer freiheitlichen Demokratie galten – etwa die biometrische Suche im Netz, um Personen zu identifizieren.
Leichtere Abschiebungen für die innere Sicherheit
Explizit nennt der Entwurf zur Inneren Sicherheit den Anschlag von Solingen als Aufhänger für die Maßnahmen. „Der islamistische Anschlag am 23. August 2024 auf einem Volksfest in Solingen hat zuletzt deutlich gemacht, dass die Sicherheit im öffentlichen Raum bedroht ist“, heißt es dazu. Allerdings sei die extremistische Bedrohung nicht auf Islamismus beschränkt. Auch der „Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus“ stellten eine große Bedrohung dar.
Der Kern der Maßnahmen richtet sich gegen Asylsuchende. Der Messerangriff von Solingen mit drei Toten wurde mutmaßlich von einem 26-jährigen Syrer begangen, dessen Abschiebung zuvor gescheitert war. Daraus leitet die Bundesregierung ab, dass es mehr Abschiebungen und härtere Regeln bei der Anerkennung von Asyl geben soll.
Auch Menschen mit bereits anerkanntem Schutzstatus sollen diesen künftig schneller verlieren können, etwa wenn sie „Straftaten mit einem antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen, geschlechtsspezifischen, gegen die sexuelle Orientierung gerichteten oder sonstigen menschenverachtenden Beweggrund“ begehen. Allerdings reicht auch schon ein Besuch im Heimatland, um künftig abgeschoben werden zu können.
Biometrische Identifikation im Asylverfahren
Das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) bekommt weitere Möglichkeiten, die Identität von Asylsuchenden ohne Papiere feststellen zu können. Neben den Durchsuchungen von Handys soll dazu auch der biometrische Abgleich von Fotos im Netz erlaubt sein.
„Angesichts der großen Bedeutung der frühzeitigen Identitätsklärung sowohl für die innere Sicherheit als auch für die Durchführung des Asylverfahrens ist es für das BAMF notwendig, die Befugnis zum biometrischen Abgleich des […] erhobenen biometrischen Lichtbildes mit öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet zu erhalten“, heißt es dazu im Entwurf. Zur Identität „im asylrechtlichen Sinne“ zählten auch das Geburtsland, das Land des gewöhnlichen Aufenthalts, der Familienstand, die Volks- und Religionszugehörigkeit oder Sprachkenntnisse.
Dabei gilt: Die Suche im Netz ist nur erlaubt, wenn die Identität einer Person nicht mit „milderen Mitteln“ festgestellt werden kann. Solch ein Mittel könne etwa die Gerätedurchsuchung sein, steht im Entwurf. Künftig könnte es also zu einer Maßnahmen-Kaskade kommen: Wer bei seinem Antrag keine Papiere vorlegen kann, dessen Handy – inklusive der Cloudspeicher – darf nach Hinweisen durchsucht werden. Bleibt das ergebnislos, folgt anschließend die biometrische Gesichtersuche in Internet.
Bei der Suche sollten keine Bilder aus Echtzeit-Quellen verwendet werden – etwa aus Livestreams aus sozialen Medien oder aus öffentlichen Überwachungskameras. Die für die Suchen eingesetzte Software und der Zeitpunkt soll zudem protokolliert werden.
Im Einklang mit Regeln der EU möglich
Laut Entwurf sei dies rechtlich möglich, sowohl im Einklang mit den Regeln für den Datenschutz in der EU (Datenschutzgrundverordnung) als auch mit der jüngst verabschiedeten KI-Verordnung, die Regeln für den Einsatz von Biometrie vorschreibt. Diese untersagt unter anderem mit wenigen Ausnahmen die biometrische Identifikation in Echtzeit, etwa anhand von Bildern aus Überwachungskameras – was die Einschränkungen im Entwurf dazu erklärt.
Unbeantwortet lässt der Entwurf allerdings die Frage, mit welchen technischen Mitteln die biometrische Suche erfolgen soll. Kommerzielle Gesichtersuchmaschinen wie PimEyes oder Clearview sind in der EU verboten, weil sie für die Erstellung ihrer Datenbanken wahllos und ohne Zustimmung Abermillionen Gesichter aus dem Internet sammeln und indexieren. Erst vor Kurzem hatte die niederländische Aufsicht wieder ein Bußgeld gegen Clearview verhängt und Behörden davor gewarnt, die illegale Technologie zu nutzen.
Auch eine eigene Softwarelösung wäre laut den Regeln der KI-Verordnung verboten. Diese untersagt unter anderem „die Verwendung von KI-Systemen, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsmaterial erstellen oder erweitern“.
Eine praktische Umsetzung der Maßnahme scheint damit unrealistisch. Sollte die Bundesregierung eine Ausnahme für die „nationale Sicherheit“ geltend machen wollen, wäre das im Entwurf nicht erwähnt.
Biometrie auch für die Polizei
Der Entwurf „zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung“ sieht auch für Ermittlungsbehörden neue Befugnisse vor. Sie sollen ebenfalls im öffentlichen Internet per biometrischem Abgleich nach Personen suchen dürfen – nicht nur nach Verdächtigen, sondern auch nach Zeugen oder vermissten Personen. Diese Forderungen hatte das Bundesinnenministerium bereits im Entwurf für ein neues BKA-Gesetz untergebracht. Justizminister Buschmann war da noch strikt gegen die Einführung.
Nach dem Anschlag von Solingen finden sich die Maßnahmen im Sicherheitspaket wieder – jetzt mit der Unterstützung der gesamten Ampel. Das Bundesjustizministerium hat die Entwürfe gemeinsam mit den Innenministerium verfasst.
Mit der Befugnis zum biometrischen Abgleich sollen „mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige“ identifiziert werden. „So können beispielsweise Lichtbilder einer Zielperson mit IS-Propagandavideos und Daten aus sozialen Medien abgeglichen werden, um Hinweise auf die Person selbst sowie Mittäter oder Hintermänner zu erhalten“, heißt es im Entwurf.
Dazu dürfen nur Bilder und Stimmproben verwendet werden, die bereits in Polizeidatenbanken gespeichert sind. Daten, die durch eine Überwachung der Wohnung oder den Einsatz von Staatstrojanern erlangt wurden, dürfen „aufgrund der hohen Eingriffsintensität“ nicht bei der Suche eingesetzt werden.
Automatisierte Datenanalyse für BKA und Bundespolizei
Zusätzlich bekommen das BKA und die Bundespolizei die Erlaubnis, ihre Datenbestände mit Hilfe von KI-Werkzeugen zu analysieren, wie sie etwa vom US-Unternehmen Palantir bekannt sind. „Gerade im Phänomenbereich des internationalen Terrorismus, in dem die Täter häufig in dezentralen Strukturen operieren“, seien solche Analysen von besonderer Bedeutung, um Zusammenhänge zu erkennen, steht im Entwurf. Die Befugnisse und Fähigkeiten des Bundeskriminalamts müssten „den aktuellen Herausforderungen entsprechen“.
Polizeibehörden nutzen viele Datenbanken, je nach Zweck und Rechtsgrundlage. Der Gesetzentwurf soll der Polizei nun ermöglichen, die „verschiedenen Datenbestände technisch zusammenzuführen“ und mit Hilfe von sogenannter Künstlicher Intelligenz auszuwerten. Erlaubt ist das etwa bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ und Straftaten „gegen Leib, Leben oder Freiheit einer Person“. Es geht also keineswegs nur um die Abwehr von schweren terroristischen Straftaten, wie der Entwurf nahelegt. Eine einfache Körperverletzung wäre schon ausreichend.
Die Maßnahme gilt, wie schon die biometrische Suche, als tiefer Eingriff in das Grundrecht, über die eigenen Daten zu bestimmen. In solchen Datenbanken befinden sich nicht nur die Daten von mutmaßlichen oder verurteilten Straftätern, sondern auch von Zeugen oder Personen, die Anzeige erstattet haben. Auch sie könnten bei den Analysen mit ins Netz der KI-Werkzeuge geraten. Das Bundesverfassungsgericht hat deswegen vergangenes Jahr Gesetze aus zwei Bundesländern als verfassungswidrig eingestuft und gekippt.
Das Innenministerium wollte die Befugnis dennoch einführen – diesmal auch für die Polizeibehörden des Bundes. Diese Forderungen ist nun ebenfalls im „Sicherheitspaket“ gelandet.
Beratungen schon am Donnerstag
Schon am Donnerstag sollen die Entwürfe im Bundestag beraten werden. Da nicht die Bundesregierung, sondern die Bundestagsfraktionen sie eingebracht haben, bedürfen sie keiner Zustimmung des Bundesrates, es könnte also schnell gehen. Zumindest für das Justizministerium kann es kaum schnell genug gehen. Bundesjustizminister Marco Buschmann mahnt, es liege „in den Händen des Parlaments, all das schnell auf den Weg zu bringen“.
Doch zumindest bei den Grünen regt sich derzeit Widerstand. Das Tempo sei zu schnell, kritisierte die Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge. „Wir werden diesen Gesetzentwurf bis zur zweiten und dritten Lesung ausführlich prüfen“, kündigte sie an.