Das Werk ist im Buchhandel nicht erhältlich, doch das Honorar der CIA belief sich auf 80 Millionen Euro. Die US-Militärpsychologen Bruce Jessen und James Mitchell sind die Autoren dieses regelrechten Folter-Handbuchs, das den verniedlichenden Titel „Gegenmaßnahmen von Verhörtechniken für den Al-Qaida-Widerstand“ trägt. Nun wurde der Inhalt der zuvor als streng geheim eingestuften Dokumente bekannt.
von Mario Rönsch
Die US-Militärpsychologen Bruce Jessen und James Mitchell sind die geistigen Väter des CIA-Folterprogramms, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (“9/11”) ins Leben gerufen wurde. Wer als Terrorverdächtiger in einem Geheimgefängnis der CIA landete, musste systematische Folter über sich ergehen lassen. Die Militärpsychologen selbst bildeten das CIA-Personal entsprechend aus und legten auch bei den so genannten Verhören immer wieder persönlich Hand an.
Im Jahr 2005 gründeten sie die Firma Mitchell, Jessen & Associates, die von der CIA mit der Leitung des Folterprogramms beauftragt wurde. Mitchell und Jessen oblag es auch, die Effektivität ihrer Methoden beim “Brechen” von Gefangenen selbst auszuwerten. Die American Civil Liberties Union (ACLU) wollte die beiden Männer für ihre Taten vor Gericht bringen. Anfang August hatte ein Bundesgericht in den USA der Klage der Bürgerrechtsorganisation stattgegeben. Die ACLU vertritt zwei ehemalige Insassen eines CIA-Gefängnisses sowie die Hinterbliebenen von Gul Rahman, der in dem afghanischen Geheimgefängnis “Cobalt” ums Leben kam.
Doch zwei Wochen später einigten sich die Kläger mit Jessen und Mitchell in einem außergerichtlichen Vergleich. Details über die Vereinbarung teilten die Streitparteien der Öffentlichkeit nicht mit. Die US-Regierung hatte im Vorfeld versucht, den Prozess zu verhindern. Sie verwies unter anderem auf das Risiko einer etwaigen Preisgabe von sensiblen Informationen im Rahmen des Gerichtsverfahrens, die die nationale Sicherheit untergraben könnten.
Guardian veröffentlicht Chronologie des Schreckens
Zumindest in dieser Hinsicht war das Vorgehen der Regierung letztlich nicht von Erfolg gekrönt. Denn dem Guardian liegt ein 274-seitiges Dokument vor, das ursprünglich mit Blick auf das Verfahren angefertigt wurde. Es umfasst ehemals als geheim eingestufte Berichte, die das Pentagon und die CIA nach einem Gerichtsbeschluss für das Verfahren freigeben mussten. Was die britische Zeitung in ihrem Artikel vom Montag zutage förderte, ist ein Sammelsurium an Grausamkeiten. Rund um die Uhr mussten die Insassen von “Cobalt” Erniedrigungen, Qualen und Folter über sich ergehen lassen.
Zum Standard der Einrichtung gehörte es, die zumeist nackten oder mit einer Windel versehenen Insassen bei völliger Dunkelheit an die Wände stark unterkühlter Isolationszellen zu ketten. Um ihnen den Schlaf zu rauben, wurden die Häftlinge mit lauter Musik dauerbeschallt. Einer von ihnen war Gul Rahman, der im Oktober 2002 aus Pakistan in das afghanische CIA-Gefängnis verschleppt wurde. Einen Monat später starb er infolge einer Unterkühlung.
Wir nun anhand der dem Guardian vorliegenden Dokumente bekannt wurde, haben Mitchell und Jessen auch Rahman verhört. Vor allem Letzterer widmete sich intensiv dem Terrorverdächtigen, als er im November 2002 zehn Tage lang den CIA-Mitarbeitern bei ihrer Arbeit in dem nahe Kabul gelegenen Gefängnis auf die Finger schaute.
Erfrieren als “Widerstandstechnik”
Insgesamt sechs Mal verhörte der Militärangehörige den Insassen, der fünf Tage nach Jessens Abreise tot auf dem kalten Betonboden seiner Zelle aufgefunden wurde. Noch zwei Stunden zuvor hatten Wächter das Verlies betreten, um dem Zustand des Noch-Lebenden zu überprüfen. Es war ihnen nicht entgangen, dass Rahman kurz vor dem Unterkühlungstod stand.
“Die Atmosphäre war gut”, schilderte Jessen im Januar 2003 einem CIA-Ermittler seine Eindrücke von den Vernehmungen. “Hässlich, aber sicher” (“Nasty, but safe”) sei es gewesen. Als sich Rahman über seinen Kältezustand beschwerte, intervenierte Jessen, damit das CIA-Personal dem Erfrierenden keine Kleidung gibt. Denn bei Rahmans Beschwerde habe es sich nach Ansicht des Militärpsychologen nur um den Ausdruck einer “ausgeklügelten Widerstandstechnik Al-Kaidas” gehandelt.
Wenn ein Insasse an seiner Beteuerung festhielt, nichts mit Terrorismus zu tun zu haben, wenn er nach einem Anwalt oder einem Arzt verlangte oder sich in irgendeiner Form über die Haftbedingungen beschwerte: All das galt Jessen und Mitchell als perfide Strategie Al-Kaidas – wie das Dokument mit dem Titel “Gegenmaßnahmen zum Widerstand von Al-Kaida gegenüber Verhörmethoden” belegt, das die Psychologen Anfang 2000 verfasst hatten. In dessen Einleitung gestehen sie zwar ein, “keine Experten der arabischen Kultur oder der Al-Kaida-Organisation” zu sein, doch das habe ihrem “Enthusiasmus für ihre Ansichten” keinen Abbruch getan, so der Guardian. Zum Tod von Gul Rahman zog das Blatt ein vor diesem Hintergrund wenig überraschendes Fazit:
„Die neuen Dokumente deuten darauf hin, dass Rahman noch am Leben wäre, wenn Jessen nicht ungefähr zur selben Zeit in Cobalt eingetroffen und eine direkte Rolle bei den Verhören übernommen hätte.“
Mörderische Millionäre
Zu den von den Erfindern des Folterprogramms verhörten Männern zählte auch der Guantanamo-Insasse Abu Subaida, der laut einem Bericht des US-Senats nahezu “rund um die Uhr” gefoltert wurde. So musste er mindestens 83 Mal das so genannte Waterboarding über sich ergehen lassen. Der Palästinenser stand im Zentrum der Versuche der US-Regierung, das Folterprogramm nach dessen Bekanntwerden öffentlich zu rechtfertigen.
Subaida habe laut dem ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush “Informationen über Schlüsselfiguren Al-Kaidas preisgegeben, die uns geholfen haben, Verantwortliche für die 9/11-Attacke zu finden und festzunehmen”. Ende 2014 legte Bushs einstiger Vize Dick Cheney nach: “Wir taten damals, was nötig war, um die Verantwortlichen für 9/11 zu finden und einen weiteren Anschlag zu verhindern.”
Jahrelang galt Abu Subaida selbst als Hauptdrahtzieher der 9/11-Anschläge. Bush bezeichnete ihn als Al-Kaidas “Einsatzleiter”. Laut dem damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war der Palästinenser ein “enger Gefährte” von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden. Er sei entweder selbst die Nummer 2 des Terrornetzwerks oder stehe dieser “sehr nahe”, behauptete Rumsfeld im April 2002. Auch der offizielle 9/11-Untersuchungsbericht führt Subaida als langjährigen Verbündeten Bin Ladens und wichtiges Al-Kaida-Mitglied auf. Laut einem Bericht der New York Times sollte er möglicherweise sogar die Führung der Terrororganisation übernehmen, falls Bin Laden stirbt.
Zweifel an Subaidas vermeintlich herausragender Rolle im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September gab es in der westlichen Öffentlichkeit kaum. Knapp acht Jahre nach der Terrorattacke kam es allerdings zur großen Kehrtwende: Im Rahmen einer Haftüberprüfung stellte das US-Justizministerium Anfang 2009 fest, dass der Guantanamo-Häftling niemals Mitglied Al-Kaidas war und dementsprechend auch mit der 9/11-Planung nichts zu tun hatte. Dessen damaliger Anwalt Brent Mickum erklärte dazu: “Die Anschuldigungen waren auf allen Ebenen falsch.” Und die US-Regierung sei sich dessen bewusst gewesen.
Vernichtende Bilanz im Senatsbericht
Nahezu geräuschlos verschwand Subaida aus der offiziellen 9/11-Erzählung. Fortan ließ sich sein Fall auch nicht mehr propagandistisch nutzen, um Folter an Terrorverdächtigen zu rechtfertigen. Der im Dezember 2014 vom Geheimdienstausschuss des US-Senats veröffentlichte so genannte CIA-Folterreport zog eine vernichtende Bilanz über die Verhörmethoden des Auslandsgeheimdienstes. Demnach habe die Anwendung von Folter nicht dazu beigetragen, Al-Kaida-Mitglieder dingfest zu machen oder wichtige Erkenntnisse über die Terrororganisation zu erlangen:
„Die harschen CIA-Verhörmethoden waren kein geeignetes Mittel, Geheimnisse oder die Kooperation der Gefangenen zu erlangen.“
Trug das Folterprogramm auch kaum dazu bei, den Wissensstand über Al-Kaida zu erhöhen, so erhöhte es doch den Kontostand seiner Erfinder: Für ihre Beteiligung an Folter und Mord erhielt die Firma von Jessen und Mitchell im Laufe der Jahre insgesamt 81 Millionen US-Dollar. Keinem der an dem CIA-Folterprogramm Beteiligten wurde jemals vor einem Zivilgericht der Prozess gemacht.
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