Janine Malz ist seit 2014 als freiberufliche Literaturübersetzerin tätig und übersetzt Belletristik und Sachbücher aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen ins Deutsche.
Vor Kurzem erreichte mich die E-Mail eines großen deutschen Verlags, der mich als Literaturübersetzerin aus dem Englischen, Italienischen und Niederländischen anfragte; ich sei ihnen wärmstens empfohlen worden. Es ging um eine vierteilige Romanreihe aus den Niederlanden. Die Romane seien kurzweilig, die Figuren charmant, und die Autorin schreibe mit Witz und Herz, so die Lektorin. So weit, so normal. Doch ich wurde nicht etwa für die Übersetzung angefragt, sondern nur als Prüferin für eine KI-generierten Übersetzung, sogenanntes Post-Editing.
Das Honorar: Fünf Euro pro Normseite – ein übliches Übersetzungshonorar liegt um die 20 Euro. Und ich sollte auch keinen Übersetzungsvertrag erhalten, sondern nur einen Redaktionsvertrag. Falls ich Bedenken hätte, würde man sich sonst auch über die Empfehlung einer Kollegin freuen. Mir fiel die Kinnlade herunter.
Übersetzen ist auch Beziehungsarbeit
Denn was diese scheinbar harmlose Anfrage beinhaltete, verhieß nichts weniger als den Anfang vom Ende meines Berufs. Kurzerhand verfasste ich eine Antwort, in der ich nicht einfach lapidar ablehnte, sondern erklärte, warum diese Entwicklung aus Übersetzerinnensicht fatal wäre. In der E-Mail ging ich auf folgende fünf Argumente ein:
- Post-Editing heißt, für ein geringeres Honorar in kürzerer Zeit einen deutschen Text zu schustern. Selbst wenn ich mir Mühe gebe, würde am Ende ein Text herauskommen, der qualitativ schlechter ist als ein Text, den ich selbst erschaffe. Das liegt in der Natur der Sache: Sobald erst einmal etwas auf Deutsch dasteht, ist es schwer, sich davon zu lösen und auf eigene, idiomatische und kreative Lösungen zu kommen.
- Post-Editing ist nur scheinbar ein Zeitgewinn: Wenn ich selbst übersetze, habe ich vor mir einen ausgangssprachlichen Text und meine unbeschriebene Word-Datei, in die ich meinen Text hineintippe. Beim Post-Editing muss ich aber erstmal den deutschen Output Satz für Satz mit dem Ausgangstext abgleichen, um Fehler zu entdecken und auszumerzen. Das kostet Zeit. Dann soll ich ja aber auch noch einen gut lesbaren, flüssigen Text daraus machen.
- Übersetzen ist nicht nur Textarbeit, sondern auch Recherche: Wichtig ist, sich klar zu machen, dass die Maschine den Text nicht versteht. Sie versteht keine Anspielungen, Wortspiele, Witze, Bezüge, sprechende Namen. Als Übersetzerin bin ich oft in engem Austausch mit den Autor:innen, frage nach, was sie mit bestimmten Formulierungen meinen, recherchiere Fakten nach und finde nicht selten Fehler im Original, weil in anderen Ländern teilweise das Lektorat nicht so gründlich ist wie bei uns.
- Übersetzen ist nicht nur Textarbeit, sondern auch Beziehungsarbeit: Gerade den niederländischsprachigen Markt kennen wir Übersetzer:innen sehr gut und fungieren mitunter auch als Scouts, entdecken neue Bücher aus den Niederlanden und Flandern, bieten sie deutschsprachigen Verlagen an. Mitunter gehe ich mit meinen Autor:innen auch auf Lesereise, moderiere und dolmetsche das Gespräch. Das alles kann die KI nicht leisten. Ich kann das aber nur so lange leisten, solange ich von meiner Arbeit leben kann.
- Es wird ein Redaktions-, kein Übersetzungsvertrag angeboten. Das heißt für mich, ich erlange keine Urheberrechte an dem deutschen Text, ergo erhalte ich auch keine Beteiligung seitens des Verlags am Nettoverkaufserlös und keine Bibliothekstantiemen durch die VG Wort. Das ist angesichts der bescheidenen Honorare aber ein wichtiger Baustein in meinem Einkommen. Außerdem ist die Frage, wer ist dann überhaupt Urheber an der deutschen Buchveröffentlichung? Das kann juristisch nur ein Mensch sein, keine Maschine.
Entwicklung bedroht die Kulturbranche
Übersetzen ist nicht nur ein Beruf, es ist Berufung. Meine Kolleg:innen arbeiten oft weit über eine normale 40-Stunden-Woche hinaus und tragen als Freiberufler:innen zusätzliche Risiken – niemand bezahlt uns, wenn wir krank oder im Urlaub sind. Das Durchschnittshonorar ist in den letzten Jahrzehnten inflationsbereinigt gesunken (!), viele bekommen eine so geringe Rente, dass sie auch im Alter weiter arbeiten müssen.
Warum wir das machen? Wir lieben unseren Beruf, wir lieben Literatur und setzen uns dafür mit all unserem Können und unserer Erfahrung ein. Wenn Verlage nun aus Kostengründen die Honorare weiter absenken, werden immer mehr Kolleg:innen in andere Berufe ausweichen, weil sie schlicht nicht mehr davon leben können. Damit geht all das verloren, was ich oben geschildert habe.
Nachdem ich die E-Mail abgeschickt hatte, stellte ich die Anfrage und meine Antwort – nur unter Angabe des Verlags, aber ansonsten anonymisiert – bei Instagram ein, anschließend auch bei LinkedIn und Facebook. Was folgte, hat mich überwältigt. Mein Beitrag ging viral, wurde tausendfach gelikt und geteilt, unter anderem von Schriftsteller:innen wie Saša Stanišić, Nicole Seifert und Nina George. Übersetzer:innen und Autor:innen, Journalist:innen, Sprecher:innen, Illustrator:innen und erfreulicherweise auch viele Leser:innen waren entsetzt und dankten mir für den öffentlichen Protest gegen eine Entwicklung, die die gesamte Kunst- und Kulturbranche bedroht.
Was es heißt, Literatur zu übersetzen
Überall wird der Rotstift angesetzt, gerade erst wurden Pläne bekannt, wonach im neuen Bundeshaushalt trotz gleichbleibendem Kulturetat ausgerechnet bei der freien Kunst- und Kulturszene drastisch gekürzt werden soll – den sechs Bundeskulturfonds, darunter dem Deutschen Übersetzerfonds, sollen die Mittel um die Hälfte (!) gestrichen werden. Für Übersetzer:innen ist das ein schwerer Schlag, denn diese Stipendien sind enorm wichtig in einem Beruf, in dem das Honorar gerade bei anspruchsvollen Werken den Zeitaufwand nicht abdeckt, sodass sie letztlich auch den Verlagen zugutekommen.
Was mir in der Debatte im Nachgang meines Online-Posts auffiel, ist, wie viele offenbar ein merkwürdiges Verständnis davon haben, was es heißt, Literatur zu übersetzen. Das mache ich erstmal niemandem zum Vorwurf, denn auch ich weiß ja nicht, was andere Leute in ihren Berufen so machen. Aber von einem Verlag würde ich das schon erwarten.
Sprachgefühl statt Sprachberechnung
KI-Technologie, die auf sogenannten großen Sprachmodellen beruht, wie DeepL oder ChatGPT, ist im Alltag sicherlich praktisch, etwa beim Übersetzen von Geschäftsmails oder Zeitungsartikeln oder beim Verständigen in einem fremdsprachigen Kontext. Aber in der Literatur haben wir es mit Texten zu tun, die über die reine Informationsvermittlung hinausgehen, bei denen Stil, Rhythmus und Klang eine essentielle Rolle spielen, die sprachlich erfinderisch und originell sind, eine eigene Handschrift tragen. Die Emotionen, Humor und kulturelle Eigenheiten transportieren. Die man womöglich immer wieder lesen und erfahren möchte – nicht nur einmal kurz überfliegen. Literatur ist Kunst.
Und ja, das trifft auch auf Unterhaltungsliteratur zu, denn auch dort will die Handlung kunstvoll verwoben, wollen Dialoge lebendig geschrieben und Figuren glaubwürdig ausgearbeitet sein.
KI-Sprachmodelle erstellen Texte anhand von Wahrscheinlichkeiten. Sie berechnen etwa, welches Wort am ehesten auf ein vorangegangenes folgt. Die Ergebnisse können teils beeindrucken, aber sie können nicht die Konsistenz und Tiefe eines Texts erreichen, den ein Mensch übersetzt. Mit literarischem Schreiben hat das wenig zu tun. Es heißt ja auch „Sprachgefühl“, nicht „Sprachberechnung“. Literatur entspringt dem Bedürfnis des Menschen, sich gegenseitig Geschichten darüber zu erzählen, was es heißt, Mensch in dieser Welt zu sein. Zu glauben, eine Maschine – die nie in dieser Welt gelebt hat – könne das genauso gut übernehmen, ist gelinde gesagt grotesk.
Verlage, die von sich behaupten, Bücher zu lieben, sollten Literatur auch als das behandeln, was sie ist: eine durch und durch menschliche Ausdrucksform. Kein maschinell erzeugtes Ramschprodukt.