Die Erfurter Ränkespiele um die Wahl des Parlamentsvorsitzenden führen dem Ausland den Zustand der Demokratie in Deutschland vor Augen. Der moralisch erhobene Zeigefinger verbietet sich künftig. In Erfurt wurde vorgeführt, dass der Begriff “Demokratie” aus deutschem Mund sinnentleert ist.
von Gert Ewen Ungar
Das, was Deutschland in diesen Tagen in aller Öffentlichkeit aufführt, ist einer Demokratie absolut unwürdig. Auch im Ausland beobachtet man die Vorgänge in Thüringen und ist erstaunt. Dass sich ein Land, das sich selbst für die Vorzeigedemokratie schlechthin hält und wie kein zweites mit moralischen Ansprüchen gegenüber anderen Ländern auftritt, traut, ein derartig unwürdiges und den Wähler verhöhnendes Theater wie in Thüringen aufführt – das hat Chuzpe.
Man wird Deutschland künftig auf das Erfurter Polit-Theater hinweisen, wenn sich deutsche Politiker anmaßen, andere Länder belehren zu dürfen. Die Ausrede, man schütze in Deutschland die Demokratie vor den Antidemokraten, zählt im Ausland nicht, denn dass die AfD der neue Faschismus sei, ist ein Narrativ, das nur in Deutschland Gültigkeit besitzt. Im Ausland ist die Sicht klarer und weniger durch Ideologie verzerrt. Die AfD ist eine rechtskonservative Partei.
Man muss sich schlicht vorstellen, das Erfurter Dramolett würde woanders aufgeführt. Wenn das, was in Thüringen gerade unter dem Titel “Wir schützen unsere Demokratie” stattgefunden hat, in Russland, China, Venezuela stattfinden würde, die geifernden, hysterischen Schreie des Entsetzens deutscher Politiker und deutscher Medien wären noch bis Peking zu hören.
Im Ausland zur Aufführung gebracht, würde man die Thüringer Parlaments-Farce für ein klares Zeichen der Autokratie halten – aber eben nur, wenn es in einem anderen Land passieren würde. Doch es passiert eben nicht anderswo, es passiert in Deutschland und da ist es okay. Für seine doppelten Standards genießt Deutschland Weltruf.
Das Aushebeln bisher nicht infrage gestellter Regeln und Gepflogenheiten zur Wahl des Parlamentsvorsitzenden wird umgedichtet zu einem Sieg der Demokratie über das reine Böse – die AfD. Es diene dem Schutz der Demokratie, wird die über Parteigrenzen zur Schau gestellte Verachtung des Wählerwillens schöngeredet.
Nein, das Thüringer Spektakel ist kein Stück über die Erhabenheit der gefestigten deutschen Demokratie gegenüber den Gefahren, die von Demokratieverächtern ausgeht. Es ist ein Stück über Demokratieverachtung durch vermeintliche Demokraten. Von der Aufführung eines solchen Stücks sehen sogar Diktatoren ab, weil sie wissen, dass man etablierte Regeln nicht einfach so brechen darf, ohne sich den Zorn des Volkes zuzuziehen.
In Deutschland bleibt es trotz dieses Skandals ruhig. Das hat auch damit zu tun, dass die großen deutschen Medien die Massen täuschen und das Thüringer Stück der Demokratieverachtung durch CDU, die Linke und BSW zu einem Heldenepos über die Verteidigung der Demokratie und ihrer Werte umdeuten, in dem es nur einen einzigen echten Schurken gibt – die AfD.
Das deutsche Stück lehrt die Autokraten der Welt daher, dass man, um wirklich ungestört durchregieren zu können, sich die Herrschaft über die Medien sichern muss. Sie müssen Vielfalt vortäuschen und im Gleichklang klingen. Die deutsche Medienlandschaft und der deutsche Journalismus liefern hier ein herausragendes Vorbild. Zensur und ein System der Gleichschaltung über Anpassungsdruck, Seilschaften und Pöstchenvergabe machen es möglich. Journalismus unter Kontrolle der herrschenden Verhältnisse.
Wie die großen deutschen Medien auf den antidemokratischen Coup in Erfurt reagiert haben, zeigt jedenfalls, welche Form von Journalismus in eine Gesellschaft eingepflanzt werden muss, um autokratische Herrschaft nachhaltig zu errichten.
Dieser Erfurter Versuch, die Demokratie vor der AfD zu schützen, hat der Demokratie einen nachhaltigen Schlag versetzt. Das machen auch die Reaktionen in den sozialen Netzwerken deutlich. Eine wachsende Zahl von Bürgern hält Deutschland für im Kern undemokratisch. Auch im Ausland hat das Thüringer Polit-Theater Eindruck gemacht. Es sorgt für einen weiteren Ansehensverlust Deutschlands.
Die Zahl derer im Ausland, die meinen, in Deutschland sei alles vorbildhaft geregelt und die Demokratie gut und tief in der Gesellschaft verankert, wird immer kleiner. Man kann den ausländischen Beobachtern zu ihrer Erkenntnis nur gratulieren.
Ja, in Deutschland läuft gerade alles aus dem Ruder: ökonomisch, gesellschaftlich und politisch. Dabei ist ein Ende des Abrutschens ganz offensichtlich noch längst nicht in Sicht. Es gibt an den deutschen Zuständen im öffentlichen Diskurs bisher noch nicht einmal eine deutlich hörbare Kritik. In Deutschland hält man sich weiterhin für die Weltspitze. Auch hinsichtlich des Zustands der Demokratie. Diese Selbsttäuschung ist die eigentliche Tragödie.
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