Nancy Faeser (SPD) muss heute eine empfindliche Niederlage einstecken: Das BKA-Gesetz, für das sie sich bei der mündlichen Anhörung beim Bundesverfassungsgericht im Dezember letzten Jahres vehement starkmachte, ist in Teilen verfassungswidrig. Das haben die Karlsruher Richter heute entschieden.
Das Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes stammt noch von der schwarz-schwarz-roten Vorgängerregierung. Der vorher existierende Informationsverbund aller Polizeibehörden änderte sich dadurch von Grund auf: Die gesamte Informationsordnung des Bundeskriminalamts (BKA) wurde neu strukturiert, mit sehr weitreichenden neuen Speicherungen in der Verbunddatenbank INPOL, auf die neben der Bundespolizei und der Zollverwaltung alle Polizeibehörden für alle erdenklichen Auswertungszwecke zugreifen können. Eine massive und anwachsende Bevorratung der personenbezogenen Daten zum Zweck der Terrorismusabwehr war die Folge.
Einige wesentliche der neuen gesetzlichen Befugnisse zur Datenspeicherung sind mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Die große Menge an Daten über Menschen, die in INPOL gespeichert werden dürfen, muss künftig beschränkt werden. Nicht jeder Beschuldigte einer beliebigen Straftat darf mehr in der außergewöhnlich großen Polizeidatenbank landen. Es muss eine hinreichend normierte Speicherungsschwelle und Speicherdauer festgesetzt werden.
Zudem ging es um die Datenerhebung: Die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen, wie sie im BKA-Gesetz geregelt ist, wurde für verfassungswidrig erklärt. Solche Kontaktpersonen sind nicht selbst terroristischer Aktivitäten verdächtig, sondern gehören zum Umfeld von Beschuldigten. Eine solche heimliche Überwachung kann erheblich weit in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen, insbesondere „wenn die Maßnahmen gebündelt durchgeführt werden und dabei darauf zielen, möglichst alle Äußerungen und Bewegungen zu erfassen und bildlich wie akustisch festzuhalten“, schreibt das Bundesverfassungsgericht. Die Eingriffsschwelle der Vorschrift zu diesen heimlichen Überwachungsmaßnahmen ist unverhältnismäßig.
Sogenanntes Sicherheitspaket am Horizont
Das BKA-Gesetz vom 1. Juni 2017 ist seit Mai 2018 in Kraft. Das Gesetz war eine Nachbesserung, da das zuvor geltende BKA-Gesetz vom Bundesverfassungsgericht im April 2016 ebenfalls als teilweise verfassungswidrig eingestuft wurde. Eine Vielzahl von materiellen und prozeduralen Defiziten musste korrigiert werden.
Die Höchstrichter haben die im Mai 2019 eingereichte Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) heute nach mehr als fünf Jahren entschieden. Die verfassungswidrigen Vorschriften müssen nun bis zum 31. Juli 2025 überarbeitet werden, können aber mit einigen Einschränkungen weiter gelten.
Beschwerdeführer waren zwei Strafverteidigerinnen, zwei ehrenamtlich in der Fußball-Fanarbeit Engagierte und ein politischer Aktivist. Die GFF verbucht das Urteil als „Erfolg für die Freiheitsrechte“. Matthias Bäcker, Jura-Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Autor der Verfassungsbeschwerde, dürfte vom heutigen Urteil nicht überrascht sein: Bereits als Sachverständiger hatte er in der Anhörung zum BKA-Gesetz im Jahr 2017 auf eklatante rechtliche Mängel hingewiesen. Er hatte den Abgeordneten im Ausschuss ins Stammbuch geschrieben, dass der Gesetzentwurf so nicht in Kraft gesetzt werden dürfe, wenn er vom Bundesverfassungsgericht nicht wieder einkassiert werden solle.
Bijan Moini, Legal Director der GFF und Verfahrensbevollmächtigter, weist anlässlich des heutigen Urteils auch auf die aktuelle Diskussion um Verschärfungen von Überwachungsbefugnissen hin: „Gerade liegt mit dem Sicherheitspaket erneut ein Gesetz im Bundestag, das tiefgreifende Verschärfungen im Sicherheitsrecht vorsieht – wieder einmal weit über die Grenzen des Grundgesetzes hinaus. Aus Respekt vor der Verfassung müssen diese grundrechtswidrigen Verschärfungen dringend zurückgestutzt werden – bevor es das Bundesverfassungsgericht wieder tut.“
Sieg für Pressefreiheit und Fußballfans
Der Deutsche Journalisten-Verband sieht in dem heutigen Urteil auch einen Sieg für die Pressefreiheit. Für den DJV-Bundesvorsitzenden Mika Beuster profitieren vor allem „Journalistinnen und Journalisten, die Recherchen in kriminellen Milieus durchführten“, von dem Richterspruch. „Die bisherige Praxis läuft nach dem Motto ,mitgehangen, mitgefangen‘.“ Karlsruhe hätte „unübersehbar das Stoppschild aufgestellt“.
Auch organisierte Fußballfans sind über das Urteil erfreut: Die Grün-Weiße Hilfe sieht mit der Entscheidung auch die Rechtsgrundlagen für die Datei „Gewalttäter Sport“ als verfassungswidrig an. Fußballfans könnten schon wegen des Vorwurfs eines Bagatelldelikts in der Datei „Gewalttäter Sport“ landen, selbst wenn das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt wurde, erklärt der Verein. Dann drohten beispielsweise unangenehme polizeiliche Befragungen, Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen oder sogar Freiheitsentzug. Es reiche nun nicht mehr aus, ein Beschuldigter einer geringfügigen Straftat gewesen zu sein, um in Polizeidatenbanken wie der Datei „Gewalttäter Sport“ zu landen.